Wirklich, Talente sind anstrengend
Aktuelle Diskussionen und Studien legen den Finger in die Wunde: Hochbegabte Menschen haben es in Unternehmen nicht leicht. Sie werden oft von ihren Vorgesetzten schneller als Rivalen wahrgenommen als durchschnittliche Mitarbeiter. Zusätzlich haben sie häufig Schwierigkeiten, sich in die sozialen Dynamiken innerhalb von Organisationen einzufügen. Kurz gesagt, echte Hochbegabung ist für Chefs und Kollegen unbequem. Und das ist die nackte Wahrheit.
Ich weiß, wovon ich spreche.
Als jemand, der seit Jahren als Change-Katalysator in Unternehmen arbeitet, kenne ich die Herausforderungen, die hochbegabte Talente mitbringen, nur allzu gut. Ich bin bekannt dafür, dass ich immer wieder junge Potenziale entdecke, einstelle und coache. Und ja, das bedeutet oft, aus dem Nähkästchen zu plaudern und mitunter auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Hochbegabte sind nicht die "einfachen" Mitarbeiter. Sie sind diejenigen, die nachfragen, die hinterfragen und die bestehende Strukturen ins Wanken bringen. Aber genau das ist es, was Unternehmen brauchen, wenn sie wirklich transformieren wollen. Es geht nicht darum, einfach mitzuschwimmen, sondern Wellen zu machen. Und ja, Wellen machen nun mal nass.
Hintergrund
Der biopsychosoziale Ansatz erweitert die Verbindung zwischen der biologischen und der psychologischen Perspektive um die soziale Komponente. Nach dem Motto von Aristoteles: "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile", erklärt das biopsychosoziale Modell das Phänomen hochbegabter Menschen in Organisationen. Wissenschaftler, die diesen Ansatz vertreten, argumentieren, dass Menschen als Ganzes betrachtet werden müssen, inklusive ihrer beruflichen, persönlichen und sozialen Bedürfnisse. Berufliche Probleme wirken sich auf das Privatleben aus und umgekehrt.
In meiner Arbeit habe ich unzählige Male erlebt, wie hochbegabte Mitarbeiter systemische und kontextuelle Stressoren ganz anders verarbeiten als ihre Kollegen. Sie nehmen Details wahr, die andere übersehen, und analysieren Probleme so tief, dass es oft den Rahmen sprengt. Sulsky & Smith (2005) wiesen darauf hin, dass systemische und kontextuelle Stressoren nicht nur die biologischen und psychologischen Anforderungen an Mitarbeiter beeinflussen, sondern auch ihr soziales Verhalten. Das Ergebnis? Hochbegabte fühlen sich oft missverstanden und nicht ausreichend gefördert, was nicht selten zu Unsicherheit und einem Leistungseinbruch führt. Und ehrlich, wer möchte schon ständig der Außenseiter sein, der alles hinterfragt?
Hochbegabte leiden schneller
Eine der größten Lektionen, die ich gelernt habe, ist, dass Unterschiede Konflikte verursachen. Setzt man einen Hochbegabten in ein Team mit durchschnittlich begabten Kollegen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Spannungen auftreten. Da sitzt der eine im Meeting, der nicht nur die aktuelle Diskussion erfasst, sondern bereits fünf Schritte weiterdenkt. Der Rest des Teams fühlt sich überrollt, das Talent fühlt sich unverstanden. Der Schlüssel ist hier, bewusst Brücken zu bauen, Verständnis zu fördern und ein Umfeld zu schaffen, in dem Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrgenommen werden.
Eine Organisation kann neue Talente in bestehende Teams integrieren, aber das Risiko ist hoch, dass Hürden, Kommunikationsprobleme und Frustrationen auftreten. Und dann? Dann verliere ich genau die Talente, die ich mit Mühe gefunden habe. Eine durchdachte Transformationsstrategie kann hier den Unterschied machen. Professionelles Coaching und eine klare Vision, wie das Talent in die Organisation integriert werden soll, helfen enorm. Allerdings ist externes Coaching oft nur eine bequeme Lösung, die kurzfristige Effekte erzielt. Studien haben gezeigt, dass internes Coaching, bei dem die Führungskraft als Coach agiert, langfristig deutlich wirksamer ist. Es fördert das Vertrauen, ermöglicht kontinuierliches Feedback und schafft eine Lernkultur, die nachhaltiger wirkt. Die Herausforderung liegt darin, dass die Führungskraft selbst Verantwortung übernimmt und aktiv an der Entwicklung des Talents teilnimmt, anstatt dies an externe Coaches auszulagern. Es reicht nicht, einfach nur einen klugen Kopf einzustellen. Man muss einen Plan haben, wie man diesen klugen Kopf langfristig einbindet und wachsen lässt. Talent zu binden, bedeutet, selbst die Ärmel hochzukrempeln.
Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem ich eine junge, hochbegabte Mitarbeiterin eingestellt habe. Sie war brillant, hatte aber Schwierigkeiten, sich in das bestehende Team einzufügen. Die ersten Monate waren herausfordernd. Sie stellte alles infrage: Prozesse, Hierarchien, sogar die Unternehmensziele. Viele ihrer Kollegen empfanden das als Angriff. Was half, war eine klare Kommunikation und das Coaching, das ihr half, ihre Kritik konstruktiv zu äußern. Heute ist sie eine der Schlüsselpersonen in der Organisation, und das Unternehmen wäre ohne ihre Impulse nicht dort, wo es heute steht. Hätte ich hier auf ein externes Coaching gesetzt, wären wir wahrscheinlich nie dorthin gekommen.
Die weniger riskante Möglichkeit besteht darin, ein verborgenes Talent in der bestehenden Belegschaft zu entdecken und es in die passende Rolle zu entwickeln. Es ist faszinierend, wie oft das Potenzial direkt vor der eigenen Nase liegt. Man muss nur genau hinschauen und den Mut haben, jemanden zu fördern, der vielleicht nicht sofort ins Raster passt. Aber ich sage immer: Die besten Veränderungen entstehen nicht, wenn wir auf Nummer sicher gehen, sondern wenn wir bewusst Risiken eingehen und verborgene Talente heben. Wer keine Risiken eingeht, gewinnt eben auch keinen Blumentopf.
In beiden Fällen hat sich professionelles Coaching während des Onboardings und bei späteren Gesprächen als äußerst wirkungsvoll erwiesen. Besonders erfolgreich sind jene Ansätze, bei denen die Führungskraft als interner Coach fungiert, was zu einer tieferen Integration und besseren Entwicklung führt. Externe Coaches sind hilfreich, um neue Perspektiven zu bieten, doch die langfristigen Ergebnisse sind oft begrenzter, wenn die Führungskraft selbst nicht in die Rolle des Coachs hineinwächst. Neu eingestellte Talente lernen, im Unternehmen zu wachsen, ohne sich auf Kosten ihrer eigenen Leistung zu sehr anzupassen. Gleichzeitig werden verborgene Fähigkeiten in der Belegschaft erkannt und entsprechend gefördert.
Transformation durch Talente
Wenn eine Organisation neue Talente einstellt, geht es nicht nur darum, eine weitere Person ins Team zu holen. Es geht darum, das Potenzial einer gesamten Transformation zu nutzen. Hochbegabte Talente bringen frische Perspektiven, Ideen und Innovationskraft mit, die das Team herausfordern und es wachsen lassen. Doch dafür müssen die richtigen Bedingungen geschaffen werden. Ich habe gelernt, dass es oft die kleinen Dinge sind, die den Unterschied machen: Ein offenes Ohr, die Bereitschaft, auch mal unkonventionelle Ideen zuzulassen, und vor allem der Wille, echte Veränderung zu ermöglichen. Und, seien wir ehrlich, es braucht auch eine gewisse Portion Humor, um die unvermeidlichen Stolpersteine auf dem Weg zu meistern.
Führungskräfte müssen bereit sein, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen. Als ich begann, systematisch hochbegabte Talente einzustellen, war ich mir bewusst, dass dies auch mich als Führungskraft herausfordern würde. Es bedeutete, meinen Führungsstil anzupassen, mich selbst zu hinterfragen und oft auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, um den Talenten den Raum zu geben, den sie brauchen. Und ja, manchmal fühlt man sich dabei wie derjenige, der einen Tiger an der Leine hält – aufregend, aber auch verdammt anspruchsvoll.
Folgen der Anpassung
Entscheidet sich ein hochbegabtes Talent, im Unternehmen zu bleiben und sich anzupassen, ist das oft so, als würde es eine Rolle in einem Umfeld annehmen, das nicht passt: Das Gesundheitsrisiko steigt, und die Gefahr von Unzufriedenheit wächst. Anstatt die Organisation zu transformieren, wird das Talent transformiert - jedoch oft in eine Richtung, die ihm selbst schadet. Und am Ende stehen alle ratlos da und fragen sich, warum das Talent auf einmal nicht mehr leuchtet.
Chronisch erhöhte Cortisolspiegel haben langfristige Auswirkungen auf das Immunsystem (Weinstein, 2004). Laut Heintze (2013) kämpfen Menschen mit hoher Intelligenz mit zwei besonderen Herausforderungen: (1) Perfektionismus und (2) dem Hochstapler-Syndrom. Psychologisch betrachtet ist Perfektionismus der übermäßige Druck, unerreichbare Ziele zu erreichen. Dieser Druck, kombiniert mit dem Streben nach einem unerreichbaren Ziel, erzeugt einen Teufelskreis aus chronischem Stress. Und Hand aufs Herz, dieser Stress ist der stille Killer von Potenzial.
Selbstzweifel ist eine weitere Herausforderung für hochbegabte Mitarbeiter. Angetrieben von Unsicherheiten, latenter Unzufriedenheit mit sich selbst und sozialem Feedback entsteht das Gefühl, ein Betrüger zu sein. Diese Ängste werden verstärkt, wenn das Umfeld das Talent ständig "testet" oder mit unlösbaren Aufgaben überschüttet. Das führt zu einem chronischen Stresslevel, der wiederum Leistung und Gesundheit beeinträchtigt.
In beiden Fällen resultiert der chronische Stress häufig in einer Überlastung der Nebennieren und damit in einer Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit und der sozialen Kontakte. Hochbegabte steigen schnell an die Spitze der Leistungspyramide im Unternehmen, bis ihre Leistung plötzlich unterdurchschnittlich wird.
Führungskräfte als Wegbereiter Bereit für ein Talent, das dich und dein Umfeld herausfordert?
Der Schlüssel zur erfolgreichen Integration von Hochbegabten liegt in der Bereitschaft zur Transformation. Ich empfehle, zuerst das Umfeld und den Führungsstil zu ändern, bevor man hochbegabte Köpfe ins Boot holt. Führungskräfte müssen zu Wegbereitern werden, die Talente fördern, statt sie in Schubladen zu stecken. Nichts tut mehr weh als der Verlust genau der Mitarbeiter, die wir am meisten brauchen. Und am Ende des Tages geht es nicht nur um die Hochbegabten, sondern um das gesamte Team, das von der neuen Energie profitiert.
Heintze, K. (2013). Challenges of High Intelligence: Perfectionism and Impostor Syndrome. Journal of Gifted Education and Talent Development.
Weinstein, M. (2004). Chronic Stress and its Long-term Effects on the Immune System. Journal of Occupational Health Psychology.